"Viagra muß nicht unbedingt von Krankenkassen bezahlt werden" 
VHS-Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl lässt Erstwähler kalt - Jugend mehr an Bildungspolitik interessiert
Von Ulrich Arlt

Delmenhorst. Die ersten aus der Hauptschule-Süd gehen um 21.25 Uhr. Der Spruch von Vera Dominke (CDU), das Potenzmittel Viagra müsse nicht unbedingt von der Krankenkasse bezahlt werden, ist „nicht gerade der Renner“ und auch sonst hat die VHS-Podiumsdiskussion mit fünf Bundestagsbewerbern die Jugend nicht unbedingt gefesselt. Nadine und Nora, beide 18 und Erstwähler, haben die Diskussion über Bildungspolitik vermisst, obwohl oder gerade weil Cordula Fitsch-Sauke, Oberstudiendirektorin des Max-Planck-Gymnasiums als Moderatorin tariert.
Die Wahldiskussion, die immerhin den knapp 100 Gäste fassenden VHS-Saal füllt, baut schnell ein Spannungsfeld zwischen den Bewerbern Holger Ortel (SPD), Vera Dominke (CDU), Jürgen Janssen (Bündnis 90/Die Grünen), Angelika Brunkhorst (FDP) und Heinz-Jürgen Vogel (PDS) auf. Die Fünf erfinden auf der Nordwolle die Politik ihrer Parteien, die Thesen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zu Steuern und zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen nicht neu. Spannung kommt erst nach provokativen Fragen der Zuhörerrunde auf. So etwa überrascht die Ex-Agenda-Beauftragte Eva Sassen das Podium mit der Frage: Kennen Sie ein Projekt in der Region, das Ökologie, Sozialverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit vereint. Alle Bewerber müssen passen. Die gemeinsame These von CDU und FDP, Wirtschaftswachstum und Deregulierung schafften Arbeitsplätze, provoziert einen Teilnehmer zur Feststellung: „Dann müssten wir schon lange Vollbeschäftigung haben“.
Die Gesprächsleiterin greift einen Zeit-Artikel von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) auf, in dem er das Hartz-Papier zur Bekämpfung der „verfestigten“ Massenarbeitslosigkeit als untauglich bezeichnet. Und dann beginnt der Schlagabtausch. Schon 1994 habe es in drei Monaten vier Millionen Arbeitslose gegeben, sagt PDS-Bewerber Vogel, in einer Republik, in der Konzerne im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro Steuern mehr zurückbekommen hätten, als sie eingezahlt haben. Steuern sind das Stichwort für Brunkhorst. Sie müssten völlig verändert werden: Von 7 auf 3 Steuerarten mit einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent.
Ortel sieht sich bei der Frage nach der weiteren Gültigkeit von Flächentarifen in die Enge gedrängt. Sie müssten nicht abgeschafft werden, es gebe Flexibilität genug. Er wuuchert mit 400 000 zusätzlichen Stellen für Jugendliche und Erfolgen der Schröder-Regierung, mehr Schwerbeschädigte und Langzeitarbeitslose zu vermitteln. Bei Arbeit und Wirtschaftswachstum setzt der Grüne Janssen auf Windenergie: „Hier sind wir Weltmeister, davon wird der Arbeitsmarkt lange profitieren“.
Bei der Gesundheitsdebatte werden die üblichen Klingen gekreutz. PDS contra Pharma-Industrie, CDU und FDP für Grundsicherung und Eigenbeteiligung, SPD und Grüne gegen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei der Gesundheitsversorgung. 


Delmenhorster Kreisblatt, 5. September 2002
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