„Grün
wirkt“ lautet der Slogan der einstigen Alternativ-Partei. Claudia Roth,
Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen erläutert in
einem Gespräch mit unseren Redaktionsmitgliedern Dörte Schubert,
Albert Malachewitz und Christoph Willenbrink, wie sie die Durchschlagskraft
ihrer Partei im Wahlkampf erhöhen will.
Frage:
Auf Ihren Plakaten laden Sie die Bürger im zünftigen Dirndl zur
Wahl. Biedern Sie sich da dem bayerischen Kanzlerkandidaten an oder ist
dies die grüne Antwort auf die Spaßattacken der FDP?
Roth:
Das Plakat setzt sich selbstironisch mit der deutschen Leitkultur auseinander.
Das Bild drückt aus, dass es gut ist, sich mit der deutschen Realität
als Einwanderungsland auseinanderzusetzen. Deshalb gehören zur Frau
im Dirndl die Inderin im Sari und die türkische Oma. Es ist übrigens
das erste und einzige Mal, das ich ein Dirndl getragen habe.
Frage:
Wie erklären Sie sich, dass die Union und die FDP in den Umfragen
so an der Spitze liegen, obgleich beide keine durchgerechneten Konzepte
anzubieten haben?
Roth:
Es macht deutlich, das wir diesen Wahlkampf noch kräftig politisieren
müssen, das wir in der Tat weniger über Gaga reden müssen,
sondern über Konzepte, die die FDP und Union vorschlagen. Im übrigen
ändern sich Stimmungen – und 30 bis 40 Prozent der Wähler haben
ja noch gar nicht entschieden, wen sie wählen wollen. Zum Beispiel
reden dieser Tage alle über die Klimakatastrophe, da ergibt sich die
Gelegenheit, mal zu fragen, was bieten da eigentlich die anderen? Für
das Thema Ökologie sitzt bei denen jedenfalls niemand im „Kompetenzteam“.
Frage:
Zum womöglich wahlentscheidenden Thema Arbeitslosigkeit haben die
Grünen wenig zu bieten. Und die Umsetzung der Reformvorschläge
der Hartz-Kommission will sich der Bundeskanzler persönlich ans Revers
heften.
Roth:
Ich möchte ja auch, das die Sozialdemokraten in Schwung kommen für
diese Wahl. Im übrigen haben aber die Grünen viele der jetzt
diskutierten Punkte schon vor Jahren angesprochen. Die damit verbundene
Modernisierungsdebatte wird mit uns verknüpft. Sicher haben wir uns
nicht in allen Punkten durchsetzen können. Es zeigt eben: Wir müssen
wieder in den Bundestag einziehen und in der rot-grünen Koalition
stärkeres Gewicht haben.
Frage:
Die im wesentlichen von den Grünen bestimmten Reformansätze Atomausstieg,
Ökosteuer und Agrarwende scheinen von der Mehrheit nicht so recht
verstanden zu werden. Oder sie sind den meisten schlicht zu teuer. Also
nur Siege, die mit Opfern erkauft werden für die Grünen?
Roth:
Im Gegenteil. Immer mehr Menschen wird jetzt deutlich, was wir alles erreicht
haben – auch wenn es vielen von uns nicht schnell genug ging. Deutlich
wird das vor allem, weil die Menschen gerade vor der Bundestagswahl spürren,
dass Union und FDP das Rad wieder zurückdrehen wollen.
Frage:
Trotzdem bleiben ihnen gerade in früheren Hochburgen wie Gorleben
bei den Grünen-Veranstaltungen die Leute weg...
Roth:
Das kann ich so nicht bestätigten. Alle großen Umweltverbände
haben deutlich gemacht: Das vergangene Jahr war das erfolgreichste Jahr
für die Umwelt. Das Umdenken in der Automobilindustrie und das Bundesnaturschutzgesetz?
Ohne Grüne nicht vorstellbar. Das Gesetz zum Dosenpfand erweist sich
als Mittelstandspolitik at its best, womit bewiesen wäre: Man kann
mit grüner Politik schwarze Zahlen schreiben.
Frage:
Mit dem Ausstieg aus der Atomkraft ist eines der Herzensanliegen der Grünen
abgehakt. Welche Felder wollen die Grünen eigentlich noch beackern?
Roth:
Als wir unser neues Grundsatzprogramm geschrieben haben, ist uns tatsächlich
klargeworden, was wir alles durchgesetzt haben: Neues Zuwanderungsgesetz,
die eingetragene Partnerschaft für Schwulen und Lesben. Und im Umweltbereich
gibt es sozusagen Jahrhunderterfolge. Die erneuerbaren Energien boomen
- 200 000 Jobs durch erneuerbare Energien geschaffen - wobei ich gerade
hier im Norden an die Offshore-Technik denke. Da haben wir richtig große
neue Wege eingeleitet, die wir weitergehen müssen. Während Stoiber
nun ankündigt, neue AKW bauen zu wollen, haben wir das Ziel nicht
eine Sekunde aus den Augen verloren: Ausstieg aus der Atomkraft, kein Endlager
in Gorleben. Und natürlich mobilisiert das die Menschen.
Frage:
Waren die Grünen bis in die 90er Jahre eine Partei der Jungen, so
stecken sie heute sowohl personell als auch bei den Stammwählern in
der Midlife-Krise. Sterben die Grünen mit ihren Wählern aus?
Roth:
Unsinn. Die FDP, die gebetsmühlenartig wiederholt, sie habe den Generationenwechsel
vollzogen, ist mit der PDS die älteste Partei. Bei uns kommen viele
junge Leute, die nach Alternativen zu egoistischer Politik, nach Solidarität,
suchen. Ich erlebe die Re-Politisierung Jugendlicher. Im übrigen freue
ich mich, dass endlich auch ältere Menschen zu unseren Veranstaltungen
kommen. Außenminister Joschka Fischer erweist sich da als wirkliches
Zugpferd.
Kreiszeitung
Wesermarsch, 14. August 2002
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