Kritische Fragen an Polit-Quartett
Schüler der 12. und 13 Jahrgangsstufe des Gymnasiums diskutieren auf Einladung der KZW mit Bundestagskandidaten
Politiker bemühen gerne Statistiken, um die Erfolge der eigenen und die Fehler der gegnerischen Partei herauszustellen. Ganz so leicht wollten es die Schüler des Gymnasiums den vier Bundestagskandidaten gestern bei einer Podiumsdiskussion im Gymnasium aber nicht machen. "Sie operieren hier alle mit unterschiedlichen Zahlen", stellte ein Schüler fest, "da muss doch einer lügen".
Im Vorfeld der Bundestagswahlen am 22. September hatten Kreiszeitung und Gymnasium zur Podiumsdiskussion in der Aula der Schule eingeladen. Die Kandidaten im Wahlkreis Wesermarsch/ Oldenburg-Land/Delmenhorst, Holger Ortel (SPD), Vera Dominke (CDU), Jürgen Janssen (Bündnis 90/Grüne) und Angelika Brunkhorst (FDP), stellten sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler der 12. und 13. Jahrgangsstufe. Wirtschaft/Arbeit, Verteidigungspolitik und Bildung, das waren die Themen der von KZW-Redaktionsleiter Christoph Heilscher und Lehrer Karl-Heinz Breves geleiteten Diskussion.
Die vier Kandidaten tingeln zurzeit durch den Wahlkreis. Das Publikum gestern Vormittag im Gymnasium dürfte zu den "unbequemeren" Zuhörern gehört haben, auf die sie bislang getroffen sind. Die Schülerinnen und Schüler stellten kritische Fragen, hakten nach, sagten deutlich, wenn ihnen etwas nicht passte. So auch der Schüler, der dem reichlich widersprüchlichen Zahlenspiel der Kandidaten nicht mehr recht folgen konnte und wollte, als es um das Thema Arbeitslosigkeit ging. Jürgen Janssen riet ihm schließlich, sich lieber auf der Internet-Seite des Statistischen Bundesamtes schlau zu machen.
Die Arbeitslosigkeit ist eines der drängendsten Probleme, und Holger Ortel, der einzige amtierende Bundestagsabgeordnete auf dem Podium, musste sich vorwerfen lassen, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder es nicht geschafft habe, die Arbeitslosenzahlen so deutlich zu reduzieren, wie er es vor der Bundestagswahl 1998 versprochen hatte. Die Welt sei nicht stehen geblieben, die Parameter seien damals andere gewesen, sagte dazu Holger Ortel. Und für sich selbst reklamierte der Abgeordnete durchaus Erfolge: "In meinem Wahlkreis sind die Arbeitslosenzahlen gesunken. Die Wirtschaft bewegt sich, vor allem in der Wesermarsch."
Holger Ortel erinnerte auch daran, dass der gesamte Landkreis Fördergebiet für die so genannten Ziel-2-Mittel sei. Kleine und mittlere Betriebe profitierten von den EU-Geldern, es würden Arbeitsplätze geschaffen. Vera Dominke sah das ganz anders. Die rot-grüne Regierung habe viel zu stark regulierend in die Wirtschaft eingegriffen und damit die Handlungsfähigkeit gerade der kleinen und mittelständischen Betriebe eingeschränkt. Holger Ortel, gewohnt hemdsärmelig und jovial, verzog das Gesicht angesichts der Äußerungen seiner Podiumsnachbarin. "Quatsch", entfuhr es ihm.
Angelika Brunkhorst ließ sich davon nicht beeindrucken und ging noch einen Schritt weiter: Sie sprach von einer "desolaten Mittelstandspolitik", die Regierung "drangsaliere" die Betriebe. Rigorose Reformen seien nötig, mahnte die FDP-Kandidatin an. Die Lohnnebenkosten müssten gesenkt werden, ebenso die Steuerbelastungen der Arbeitnehmer. "Und wer soll das bezahlen?", fragte ein Schüler. Es gebe angesichts des hochverschuldeten Staatshaushaltes gar keinen Spielraum für Steuersenkungen, merkte ein anderer an. Das war ein Stichwort für Jürgen Janssen. "Unerträglich§ finde er es, dass es Großbetriebe gibt, die in Deutschland keine Steuern zahlen, sagte der Grüne.
Einer der Schüler sprach ein ganz konkretes Nordenhamer Problem an. Wenn schon Fördermittel in die Wesermarsch flössen, warum sei es dann nicht gelungen, die Moeller Schutzschalter GmbH zu retten. Die Schließung sei eine Entscheidung des Unternehmens gewesen, antwortete Holger Ortel. Die Politik sei dabei leider außen vor.  gl

Kreiszeitung Wesermarsch, 21. August 2002
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