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Delmenhorst. "Weißt Du, Holger, da muss ich mal widersprechen." Mit
jovialer Geste wendet sich Heinz-Jürgen oder besser: Peter Vogel,
seinem Podiumskollegen Holger Ortel zu. Peter Vogel ist Kandidat der PDS
für die -Bundestagswahlen im Wahlkreis 29 und damit einer der Herausforderer
des sozialdemokratischen Mandatsinhabers. Man kennt sich halt in Delmenhorst,
und das macht den Bundestagswahlkampf für die Wähler nicht eben
leichter.
Immerhin,
der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte zur Podiumsdiskussion geladen und
alle Kandidaten hauptsächlich auf das Thema Arbeitsmarktpolitik eingeschworen.
Damit war zumindest ein streitbarer Themenkomplex vorgegeben. Und es kann
dem DGB als Verdienst angerechnet werden, dass das Podium mit PDS-Kandidat
und CDU-Kandidatin besetzt war. Vor vier Jahren wäre dies hier noch
undenkbar gewesen.
So
sitzen die Kandidaten der Gelben, Schwarzen, Roten, Grünen und ganz
Roten in einer Reihe und antworten nach bestem Wissen und Gewissen auf
die Fragen der Moderatoren Heinz Meyerholz und Ulli Kelm vom DGB und des
Publikums. Eine Farbe fehlt. Die Kandidatin der Grauen ist nicht erschienen.
Bei
der obligatorischen Vorstellungsrunde wird schon deutlich, dass es selbst
heute noch parteitypische Biographien gibt. Angelika Brunkhorst arbeitet
als liberale Kandidatin in der Berufsorientierung für Hauptschüler.
CDU-Kandidatin Vera Dominke hat nicht nur 30 Jahre CDU, sondern auch 20
Jahre öffentlichen Dienst hinter sich. SPD-MdB Holger Ortel ist gelernter
Tischler mit Hauptschulabschluss, Jürgen Jansen vom Bündnis
90/Die Grünen kommt als Lehrer aus der Antiatomkraft-Bewegung
der Wesermarsch und Peter Vogel stammt ursprünglich aus einem CSU-Haus
in Fürth. Als freier Journalist hält er jetzt die Fahne der PDS
hoch.
Das
Hartz-Papier ist das erste Thema. Den Linken geht es in die falsche Richtung,
den Bürgerlichen nicht weit genug. Dann kommt aus dem Publikum die
Frage nach den Arbeitslosen über 50 Jahre, denen heute jegliche Perspektive
auf einen Job fehlt. Spätestens jetzt verlassen einige Kandidaten
die offizielle Linie der Partei und lassen ihr Gewissen sprechen. „Es sind
oft hochdotierte Leute, die gegangen werden und durch jüngere und
günstigere ersetzt werden“, sagt Angelika Brunkhorst, die so für
einen Augenblick den Faible ihrer Partei für den Mittelstand aus dem
Auge verliert aber immerhin ehrlich antwortet. CDU-Kandidatin Dominke referiert
derweil über die „vielen Arten von Arbeitslosigkeit“, die es gibt
und dass es darum gehen müsse, dass sich Arbeit wieder lohne.
Holger
Ortel von der SPD kann sich befristete Jobs und längere Probezeiten
bei älteren Arbeitnehmern vorstellen, während Peter Vogel "mit
meiner Partei" davon ausgeht, dass die "Entkopplung der sozialen Systeme"
so keinen Bestand haben werde.
Jürgen
Jansen hat immerhin das Glatteis der im DGB-Haus gestellten Frage erkannt:
"Die Möglichkeit der Flexibilisierung gibt es ja schon längst,
ohne dass Tarifverträge ausgehebelt werden müssen".
Im
Schnelldurchlauf geht es dann über die Ökosteuer zur alternativen
Energie und zur Frage, ob subventionierte Jobs etwas bringen. Die Antworten
der Kandidaten darauf werden im Laufe des (schwülen) Abends unkonzentrierter,
im Publikum häufen sich die obligatorischen Stellungnahmen, auf die
zu später Stunde niemand ernsthaft eine Gegenrede der Politiker erwartet.
Delmenhorster
Kreisblatt, 22. August 2002
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